Liebe Riki, liebe Frau Neuhaus, liebe Gäste
Riki von Falken hat mir einen Brief geschrieben im Dezember. Dem lagen drei Fotokopien mit unterschiedlichen Ansichten einer Skulptur von Eva Hesse bei, „one more than one“, die jenem Stück, aus dem wir gerade einen Ausschnitt gesehen haben, den Titel gegeben hat. Zwei Schnüre sieht man auf diesen Abbildungen aus zwei kreisrunden Öffnungen hängen, die aus Papiermachée an der Wand angebracht sind; lose hängen die Schnüre herab und kringeln sich ein wenig am Boden. Auf jeder Abbildung verlaufen sie anders im unteren Teil, kreuzen sich, berühren sich, winden sich umeinander. Das ist eine äußerst lapidare Einladung an den Zufall, mitzuspielen und sichtbar zu werden in der Form der Skulptur, die in dieser Offenheit und Reduziertheit 1967 eine Sensation war für die Lösung der Skulptur vom Festgefügten. Riki von Falken ist eine Bewunderin von Eva Hesse, grade wegen dieser unangestrengten Offenheit. Deren Kunst ist eine Einladung an das Hier und Jetzt, jeweils einzutreten in das Werk. Und das geschieht auch im Werk der Choreografin.
Liebe Tanzfreunde, liebe Gäste,
ich freue mich sehr, die Laudatio für die Tänzerin und Choreografin Riki von Falken halten zu können. Ich bin glücklich, dass sie mit dem ersten Willms Neuhaus Preis eine Anerkennung für ihr Werk und ihre Arbeit erhält. Anders als das Werk einer Bildhauerin materialisiert sich die Schöpfung einer Choreografin nicht gegenständlich und ist nicht jederzeit abrufbar; sie wird sichtbar und erlebbar immer erst in der Aufführung. Grade deshalb ist der Preis ein wunderbarer Anlass, mehr als eine Choreografie in den Blick zu nehmen.
Dieser Tanz ist nicht einfach da – auch seine Autorin kann frühere Stücke nicht einfach hervorholen und reproduzieren. Sondern sie muss, wie im Fall der Wiederaufnahme von „one more than one“, das vor ungefähr 12 Jahren entstanden war, sich eine Rekonstruktion erarbeiten. Da ist, eine Aufzeichnung anzuschauen, nur erstes Werkzeug, das kann nicht einfach nachgemacht werden, da müssen die Bewegungen analysiert werden; sie gehen einmal durch die Sprache hindurch, werden reflektiert, der Zustand, die Stimmung ihrer Entstehung wieder aufgerufen.
„one more than one“ ist auch ein Dialog mit der Musik, unter anderem von Heiner Goebbels und Steve Reich – was von der Bewegung betont wird und was nicht, beruht nicht auf auszählen von Takten sondern auf Wahrnehmung, wie lange eine Spannung zu halten – und das stellt sich immer erst in der Aufführung ein.
Bevor mir Riki von Falken von diesem Prozess erzählt hat, habe ich nicht geahnt, dass die Wiederaufnahme eines früheren Stückes solch eine Form von neuschreiben oder neuerleben ist. Aber dadurch wird noch einmal klarer, dass der Tanz eben weniger manifestes Werk als vielmehr immer wieder neu hergestellte Gegenwart ist.
Man wird in den Choreografien von Riki von Falken in ein sehr feines Netz von Wahrnehmungen und Empfindungen hineingezogen, der Blick, das Gehör, das Gespür für den Raum schärfen sich nach und nach. Es sind oft kleine Bewegungen der Hände, Ellbogen, Schultern, Hüften, der Knien und Füße, die Aufmerksamkeit fordern, die etwas verschieben und teilen, was eben noch eins schien. Und bald teilt man als Zuschauer mit der Tänzerin das Lauschen nach innen, in den eigenen Körper hinein, in den Speicher von Körperwissen und Erinnerungen und erlebt das Bewusstwerden der Sensationen, die seine Berührung mit dem Außen ausmachen.
Der Medientheoretiker Peter Weibel, der in Karlsruhe das ZKM – Zentrum für Kunst und Medientechnologie leitet – hat dort begonnen, Ausstellungen über Tanz zu programmieren. „Wir bewohnen den Raum nicht durch den Geist, wir bewohnen den Raum durch den Körper“ schreibt er in einem der ersten Kataloge, anlässlich einer Ausstellung von Sasha Waltz. „Der Körper ist das Medium des Raumes und auch der Zeit. Im Tanz offenbaren sich die Endlichkeit von Raum und Zeit“ begründet er sein Interesse an dieser Kunst und fährt fort, im Tanz äußere sich daher auch „die Angst vor der Endlichkeit“ und der „Vergänglichkeit des Individuums“.
Was Weibel generell für den Tanz formuliert, trifft auf die Geschichte der Solostücke von Riki von Falken in besonderem Maße zu. Vor ungefähr 15 Jahren begann sie eine Reihe wichtiger Arbeiten, die sehr genau von der Begegnung mit der Endlichkeit des Lebens erzählten, von Momenten der Angst, von Zuständen der Trauer, von der Sprachlosigkeit, die Krankheit und Sterben oft begleitet. Die Stücke „White Linen“, „Wach“ und „one more than one“ hatten etwas Unerbittliches in ihrem Blick auf das, was unseren Körpern und Leben widerfahren kann und auch im Blick auf die Ohnmacht, mit der einen Verfall und Verlust konfrontieren. Sie waren dabei von einer ungewöhnlichen formalen Strenge und Focussiertheit. Ihre Bewegungssprache, die zunächst abstrakt und reduziert anmutet, ist doch gesättigt mit Stimmungen von Anspannung, Wachheit und der Suche nach Kommunikation dort, wo die Sprache versagt oder sich in Floskeln flüchtet.
Riki von Falken war damals schon über vierzig; der lange Atem, den sie als Künstlerin zeigte, und die Konsequenz, mit der sie ihren Themen folgte, waren schon da eine bewundernswerte Besonderheit in einer kulturellen Landschaft, die es für älter werdende Künstler in der Freien Szene schwierig macht, Produktionsmittel und Förderung zu finden. Viele der Choreografen und Tänzer, mit denen sie in den achtziger Jahren an der Tanzfabrik Berlin gestartet war, standen nicht mehr selbst auf der Bühne sondern arbeiteten eher als Lehrende oder im Tanzmanagement weiter. Den Beruf als Tänzerin, Tanzlehrerin und Choreografin durchzuhalten, auch über die fünfzig hinaus, ist nicht nur körperlich eine Herausforderung, sondern auch ökonomisch hart. Und dadurch ist es selten, dass die Perspektiven und Erfahrungen der zweiten Lebenshälfte so zur Basis der tänzerischen Arbeit werden wie bei Riki von Falken.
Liebe Zuhörer, ich will jetzt ein paar Worte zur Biografie von Riki von Falken sagen.
Erkämpfen musste sie sich, Künstlerin zu werden, fast von Anfang an. 1954 in Hohenlimburg in Nordrheinwestfalen geboren, wuchs sie mit ihrer älteren Schwester und ihrer Mutter, die eine Wäscherei hatte, auf. Der Vater war gestorben, als Riki neun Jahre alt war. Eine freie Künstlerexistenz schien keine Option, näher lag, sich sozial zu engagieren. Riki studierte Sozialpädagogik in Marburg, bevor sie sich, mit über zwanzig Jahren, nach Berlin aufmachte und in die freie Tanzszene wagte. Sie war im Kinderballett gewesen, das ja, und hatte in Operetten mitgetanzt, aber erst jetzt holte sie nach, was sich im zeitgenössischen Tanz getan hatte, lernte und unterrichtete bald an der Tanzfabrik, erhielt Stipendien für New York, um in den Studios von Merce Cunningham und Trisha Brown, bei Jennifer Muller und Stephen Petronio zu lernen.
Der modern dance aus den USA, eine abstrakte, elegante, oft lässige Bewegungssprache, die das artifizielle des Balletts überwindet und statt codifizierte oder expressive Gesten zu nutzen, sich mehr für Raum, Zeit und Körper als pure Materialien interessiert, die von Geschichte und Geschichten besetzt werden können, aber nicht müssen, war ihre erste Wahlheimat als Künstlerin.
Hinzu kam ein ausgeprägtes Interesse für die Bildende Kunst. Das wurde noch einmal verstärkt durch ihre Freundschaft mit dem Berliner Bildhauer Günter Anlauf, der bald auch ihr Lebenspartner wurde. Ihre ersten längeren Solostücke waren von seinen Skulpturen inspiriert und sie begann ihre Bühnenräume zusammen mit bildenden Künstlern zu konzipieren.
In ihren letzten beiden Stücken, „The Geometrie of Separation“ und „Echo“ waren es Videobilder von Mareike Engelhardt und Oscar Loeser, die sie einbezog und auch ein Sound, der neben zeitgenössischer, experimenteller Musik aus vielen akustischen Räumen bestand. In „Geometrie“ erwächst aus dem Ineinander von realem Raum auf der Bühne und dem projizierten Raum in den Bildern ein vielfach verschachteltes Gefüge von unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlichen Räumen. Teil der Performance ist, die weißen Kuben, auf die das immaterielle Bild projiziert wird, währenddessen umzubauen, Bilder zu fragmentieren, Einstellungsgrößen zu verändern, Durchsichten zu öffnen. Visuell war das eine sehr aufgeladene Arbeit auch mit dem Blick des Zuschauers, zwischen Engführung und Öffnung, Zerfall von Ganzheiten und Neufügung.
In „Echo“ ist es ein Feld von Tellern, das während des Tanzes umgebaut wird. Sie tragen von Anfang an etwas Zerbrechliches und Anmutiges in die Choreografie, die Riki von Falken diesmal zusammen mit einem Partner, mit Naim Syahrazad aus Kuala Lumpur tanzte.
Wie viele Künstler in der Freien Szene muss auch Riki von Falken für jedes neue Stück, das sie entwickeln will, Förderung beantragen; nicht immer wird die bewilligt, oft muss die Realisierung deshalb nochmal ein Jahr weitergeschoben werden. Das ist keine Struktur der Ermutigung, erst recht nicht über Jahrzehnte. Dennoch hat die Arbeit von Riki in den letzten sechs, sieben Jahren nochmal einen Schub erfahren. Daran war auch das Goethe-Institut beteiligt, das ihr half mit „Geometrie of Separation“ Gastspiele und Workshops zu vereinbaren, und in Neuseeland, Kamerun, Malaisia und Brasilien Arbeitsaufenthalte zu ermöglichen.
Liebes Publikum, wer von ihnen die Tanzstücke von Riki von Falken kennt, weiß, dass ihre letzten beiden Arbeiten eben auch von diesen Bedingungen erzählen, unter denen Kunst entsteht.
„Geometrie of Separation“ ist eine sehr persönliche und mutige Arbeit, gerade weil sie auch von Momenten der Mutlosigkeit, des sich Ausgeschlossenfühlens, des sich selbst Verlierens und von Verletzbarkeit erzählt, die sich sowohl mit der Erfahrung des Älterwerdens als Frau verknüpfen lassen als auch mit der Situation als Künstlerin und Einzelkämpferin. Riki von Falken hat dabei eine Partnerin, die Tänzerin Friederike Plafki, die allein in den Videobildern anwesend ist; eine Art jüngeres alter ego, die wir in ihrer Wohnung in ihrer nächsten Umwelt verloren gehen sehen, eingerollt auf dem Kleiderschrank, oder nicht zuhause in Kleidungsstücken, und nach Tellern und Tassen greifend, als suche sie in ihnen Halt in einem wegrutschenden Alltag. Dem begegnet Riki von Falken auf der Bühne mit einem Tanz der Anspannung, Reduktion, Wiederholung, mit kleinen und engen Bewegungen, in denen sich das Zurückweichen an Grenzen spiegelt und die Anstrengung, zusammenzuhalten, was einen ausmacht.
Und dennoch ist diese Choreografie nicht einfach ein trauriges Stück, sondern auch eines, das von der Kraft erzählt, in diesem Puzzelspiel seine eigene Stimme zu finden, den Zweifel auszuhalten, sich scheinbaren Zwängen der Selbstvermarktung nicht zu unterwerfen. Die Ästhetik hat dabei etwas sehr transparentes, beinahe gläsernes; sie schafft einen Rahmen von Behutsamkeit, in dem die Bilder der Härte stehen.
In „Echo“ arbeitet Riki mit Naim Syahrazad zusammen, den sie in Kuala Lumpur kennengelernte hatte. Es ist ein Stück von einer ganz anderen Anschmiegsamkeit an das Vorgefundene als ihre bisherigen Arbeiten und gesättigt mit vielen Wahrnehmungen während ihrer Arbeitsaufenthalte in Malaisia. Die Glätte und Kühle der Porzellanteller, die Zierlichkeit der Bewegungen, mit denen Naim Syahrazad sich von Teller zu Teller bewegt, als wären es Steine in einem Fluss; das Echo, das ihre Bewegungen seinen in einem Duett geben, das mit Handballen, Ellbogen und Fingerspitzen immer wieder das Rund der Teller abtastet, oder auch, wie sich beide auf der Bühne über den Boden bewegen, mit dem Rücken, der Vorderseite des Oberkörpers, mit Schenkeln und Knien seine Gegenwart annehmen und ihn zu einem Partner im Dialog machen – all das schafft einen Rahmen von Vertrauen. Man kann gar nicht benennen, zu was konkret; vielleicht eine Art Grundvertrauen dem Leben gegenüber.
Liebe Frau Neuhaus, lieber Zuhörer,
ich denke, auch dafür erhält Riki von Falken gleich den Preis der Wilms Neuhaus Stiftung überreicht: Für diese Fähigkeit der Anreicherung von Erfahrung und eben auch für das Annehmen von Veränderungen, wie sie in den letzten beiden Stücken sichtbar wurden. Das ist eine Eigenschaft, von der wir alle wissen, wie schwer sie zu entwickeln ist.
Vielen Dank